Mein Skorpion, sein Stachel und ich

 

An und für sich verstehen wir uns ganz gut. Ich und mein Skorpion – oder Vrischikasana, wie er auf Sanskrit, der Yogi-Sprache, auch heißt. 
Ich mag ihn, ehrlich. Ich mag das Gefühl, wenn ich mich kraftvoll mit Hilfe der Unterarme und Schultern vom Boden wegdrücke. Ich mag es, wenn ich dann den Brustkorb öffnen kann und mich sanft in die Rückbeuge schiebe und es mir gelingt, dabei ruhig und gleichmäßig zu atmen.

Gerade das ruhig dabei Atmen ist gar nicht so einfach, wie Du weißt, wenn Du diese Yogaübung selbst schon mal ausprobiert hast oder sie wie ich immer wieder übst. Auch wenn Du’s noch nie ausprobiert hast, kannst Du sicherlich erahnen, dass das keine „Pipifax-Asana“ ist.

Puh, Danke. Dein zustimmendes Nicken an dieser Stelle hab ich jetzt echt gebraucht.
Ich bin ja immer noch hier, balanciere auf meinen beiden Unterarmen und atme. Ruhig und gleichmäßig, wie ich schon gesagt habe.

Aber dann, dann setzt der Skorpion, dieser gemeine Fiesling, seinen Stachel ein, denn er schreit: „Jetzt mach schon, komm endlich zur Sache. Schieb dein Becken vor! Los! Noch ein Stück. Rückbeuge! Rückbeuge!”, und er schießt dabei von den Füßen – wo er eigentlich sein sollte, wo er eigentlich bleiben sollte und statt zu schreien seine Arbeit tun sollte – hoch, direkt in meinen Kopf. “RÜCKBEUGE!” Schreit er da noch mal. Und gleich noch mal: “Rückbeuge, hab ich gesagt. Stell dich nicht so an! Die Zehen müssen zum Kopf. Die Zehen. Zum Kopf. Hörst du nicht du ᎾᎿᎧᏃᎹ,”.

An dieser Stelle wiederhole ich lieber nicht, wie mich der Stachel gerade nennt. Niemand mag das gerne hören. 

Meine Freundin Beate muss den Kampf zwischen mir und dem Stachel des Skorpions gespürt haben. Denn sie hat nämlich einfach dieses goldene Ding da hergeholt – wie gut, dass in verlassen Schlössern sowas immer zufälligerweise herumsteht. Und sie hat zu mir gesagt: „Komm, setz mal da die Fußsohlen flach auf, das schaut bestimmt gut aus. Und halte noch ein bisschen. Ein kleines bisschen noch, geht das? Bin gleich so weit.“ Und ich höre das leise Klick, Klick, Klick ihrer Kamera und weiß, das war’s jetzt.

Aber ich bleibe trotzdem noch ein bisschen hier und atme und balanciere. Und der Stachel? Der Stachel ist ruhig gestellt und sitzt jetzt zusammen mit meinen Füßen auf dem Podest. Da kann er bleiben. Und ich denk mir: „Weißt Du was, Du ᏩᎧ️-Stachel, mir ist vollkommen egal, wo DU hin musst. ICH muss nämlich gar nichts. Ich darf einfach jetzt hier sein, mich spüren und üben. Vielleicht tu ich Dir das nächste Mal den Gefallen. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht aber auch nur, wenn Du das nächste Mal die Klappe hältst und mich einfach machen lässt.“ Und weil es sich grad so gut anfühlt, bleib ich noch ein paar Atemzüge und denke gar nichts mehr.

Beate hat mir letzte Woche das Bild geschickt und ich mag es. Auch wenn ich mit der äußeren Form nicht hundertprozentig zufrieden bin. Aber es erinnert mich an den Moment, in dem der Stachel plötzlich ruhig war und mich nicht mehr getriezt hat. Und da geht mir plötzlich ein Licht auf: Das war gar kein Fotoshooting. Das war YOGA. Das ist es, was gemeint ist mit “Yoga citta vritti nirodha”: Yoga ist das zur Ruhe bringen der Gedanken im Geist. Das war genau das. Und zwar in seiner reinsten Form.

 

Namaste

 

Namaste oder Grüß Gott, wie wir so schön auf bayrisch sagen. 

„Was heißt dieses Namaste, das du immer am Ende der Yogastunde sagst?“, fragt schon mal jemand, und jemand anderes fragt lieber nicht, denn sie oder er möchte sich nicht als totaler Neuling oder Nicht-Insider outen. Kann ich vollkommen verstehen.

Ich bin nach meiner allerersten Konfrontation mit diesem Namaste auch nach Hause und hab‘s gegoogelt. Ganz ehrlich? Ein wenig seltsam fand ich das schon.

„Ich beuge mich vor dem Göttlichen in dir.“

Wer sagt denn sowas? Und warum? Und ist einer, der sowas sagt nicht ein wenig… hm… ballaballa?

Dann hab ich nachgedacht und fand dieses „das Göttliche in dir“ eigentlich ganz schön, zauberhaft sogar. Ich? Etwas Göttliches? Hm. Na, wenn das jemand sagt. Vielleicht doch?

Und dann ist mir aufgefallen, dass unser „Grüß Gott“ nichts anderes bedeutet.

Ich begegne Dir und ich Grüße Dich oder eben den göttlichen Teil in Dir. Und weil der Gruß (meist ebenso) erwidert wird, ist es plötzlich eine Begegnung auf Augenhöhe, mit Respekt und großer Wertschätzung, menschlich mit einem Funken Göttlichem.

Und es hat gar nichts mit einem bestimmten Gott oder einer Religion oder Nicht-Religion oder irgendetwas mit Glauben zu tun. Es ist lediglich ein Ausdruck der Wertschätzung, der Bewunderung dessen, wer oder was ist. Ich begegne den Dingen der Schöpfung mit Respekt.
Namaste. Grüß Gott.

Alles klar oder immer noch ein wenig strange?

 

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